Ein bisschen wie Wochenende

-März 2018-

Die Sonne strahlt schon den ganzen Tag und es ist tatsächlich ein perfekter Tag, um auf den besagten Berg zu steigen. Ja gut, steigen ist hier etwas übertrieben. Zu laufen. Der Arzt wohnt in der Nähe von meiner Arbeitsstelle, sodass er mich abholt und wir gemeinsam durch die Stadt zum Berg laufen. Erst laufen wir nebeneinander und irgendwann wird entweder er schneller oder ich langsamer, aber er ist immer einen halben Schritt vor mir. Ich bin etwas genervt und mache nun langsamer. Vielleicht merkt er es selber. „Wenn ich zu schnell musst du es mir sagen!“ Ach Schätzchen, ich hab es schon geschafft, ohne etwas zu sagen…

Als es etwas steiler wird, lasse ich ihn größtenteils reden. Ich muss ja doch etwas viel Schnaufen. Auf dem Berg angelangt, setzen wir uns hin bevor wir auf den Turm steigen. Schon hier versuche ich immer wieder den Augenkontakt länger zu halten, aber der Arzt guckt immer nur kurz zu mir und erzählt dann so vor sich hin. Später steigen wir auf dem Turm und er schaut immer wieder zu mir runter und frägt ob alles ok ist. Ja, entschuldige ich bin nicht die Sportlichste. Die Aussicht ist wunderbar. Wir haben die ganze Stadt vor uns. Es ist wirklich wunderschön.

Wir fangen an die Hotspots der Stadt zu identifizieren. Ich frage ihn ob man von hier den See Sowieso eigentlich sehen kann. Er sucht ein wenig, findet ihn und zeigt mit dem Finger auf eine Stelle. Meine Perspektive stimmt natürlich gar nicht, also trete ich näher, um über seinen Arm zu schauen. Ich bin wirklich sehr nah. Sehr nah an seinem Gesicht vor allem. Ich schaue zu ihm mit der Hoffnung, dass er mich auch mal etwas länger anschaut, aber nichts. Sein Blick ist weiterhin nach vorne gerichtet und er erzählt. Dann eben nicht.

Als die Sonne langsam untergeht und es kälter wird, machen wir uns wieder auf den Weg nach unten. Hier laufen wir die ganze Zeit nebeneinander. Auch wenn ich so überhaupt nicht auf Händchenhalten stehe, so könnten sich dennoch unsere Hände berühren, um einfach Körperkontakt zu haben. Aber auch das ist eher aussichtslos, weil der Herr seine Hände in der Jackentasche hat. Die ganze Zeit über. Später kommen wir an einem Platz an, wo die Aussicht nicht ganz so toll ist wie oben, aber immer noch so gut, dass man den Sonnenuntergang über die Stadt hinweg sehen kann. Hier bleiben wir am Geländer stehen. Reden und lachen viel. Ich verfolge noch immer meine Strategie mit dem langen Augenkontakt, aber auch hier klappt es nicht besonders gut, weil er immer nur kurz zu mir schaut.

Irgendwann dreht er sich um und lehnt sich mit dem Rücken an das Geländer. Ich stehe seitlich zu ihm und wir berühren uns ein ganz klein wenig. Die Sonne ist fast weg. Die Stadt ist mit dem rot- orangen Ton überlagert. Es sieht wunderschön aus. Ein filmreifer Moment um zu knutschen. Um das erste Mal zu knutschen. Aber nein. Es ergibt sich kein Moment, in dem man schweigt und sich etwas tiefer in die Augen schaut. Kein Moment in dem ich in seine Augen und dann auf seine Lippen schauen könnte. Kein Moment in dem ich Lächeln und mich etwas hoch strecken könnte, um den ersten großen Schritt zu tun. Kein Moment in dem wir uns hätten Küssen können.

Spät abends machen wir uns auf den Rückweg. Ich entschließe, weil er mich lässt, dass wir noch was Essen gehen. Es stellt sich mir die Frage, ob er eigentlich genug Geld hat um sowas zu tun. Er ist schließlich noch Student und ich bemerke wie mich dieser Gedanke stört. Ich bin in der Hinsicht froh, dass ich keine Studentin mehr bin und mir nicht über jeden Euro Gedanken machen muss. Aber er lässt dieses Thema auch immer wieder fallen, auch wenn es nicht immer offensichtlich ist. Will ich das? Will ich mit jemanden zusammen sein, der einfach noch in einer anderen Lebensphase steckt?

Im Burgerladen müssen wir uns an die Bar setzen, weil sonst keine Plätze mehr frei sind. Das ist gut, weil wir hier näher beieinander sitzen und sich unsere Beine berühren. Ich drehe mich absichtlich nicht weg, sondern achte sogar darauf, dass wir uns ständig berühren. Er bemerkt es wohl kaum. Die Kellner fangen um zehn an das Lokal aufzuräumen und es herrscht Aufbruchstimmung, sodass wir entschließen zu gehen. Er begleitet mich wieder zur Straßenbahn. An der Haltestelle ist bereits meine Straßenbahn da, aber ich sage meiner Meinung nach ziemlich offensichtlich, dass ich die Bahn schon nehmen könnte, aber einfach noch auf die nächste Bahn warte.

Um die Anzeige zu sehen, auf welcher steht wann die nächste Bahn kommt, stelle ich mich auf die Zehenspitzen und verliere natürlich ganz ungewollt etwas das Gleichgewicht. Ich halte mich also an ihm fest und er greift meine Taille, um mich zu stützen. Ich schaue ihm wieder in die Augen und will meinen Kopf gerade etwas hoch strecken, als er seinen Blick schon wieder abwendet. Ernsthaft jetzt? Meine Bahn trudelt ein, wir umarmen uns, unsere Backen berühren sich und ich wende mein Gesicht zu seinem. Es sind nur wenige Zentimeter zwischen unseren Lippen. Jetzt ist es soweit. Jetzt wird es klappen. Er lässt mich los und öffnet mir die Straßenbahntür. Oh. Ja, oke. Doch nicht. Ich sage noch „Tschüss“ beim einsteigen und der Abend endet. Endet wieder ohne Kuss. Kurze Zeit später, als ich Zuhause bin, bekomme ich eine Nachricht: „Es war heute ein bisschen wie Wochenende.“

 

19 Gedanken zu “Ein bisschen wie Wochenende

      1. Ich befürchte: ja. Es klingt jedenfalls so, als wärst du beinahe sowas wie ein Kumpel auf einem Ausflug für ihn gewesen, während deine Absichten diametral anders sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass aus so einer Dynamik je etwas Befriedigendes werden könnte.
        Aber hey, dass sind alles nur Meinungen – du bist ja live 😉

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  1. Und wenn er gleich beim ersten Date ficken will und sich dann nie wieder meldet, wird auch gejammert. Lade ihn zu dir nach Hause ein, guckt einen Film, touchy-touchy auf der Couch. Das ist doch so einfach. Dann weißt du, ob er asexuell ist, einen Micro-Penis hat oder was hier sonst wieder für ein Müll geschrieben wird.

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    1. Uns Frauen, wie euch Männern auch, kann man es tatsächlich oft nicht recht machen. Beziehungen sind eben kompliziert, auch solche, die scheinbar einfach sind. Da kann ich ein Lied von singen. Aber ich stimme dir zu: Nägel mit Köpfen machen, auf welche Art auch immer, dann weiss man Bescheid.

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  2. Meine Güte! Zeit, Kinder, Zeit! Auf den ersten Kuss, der eine 14 Jahre andauernde Beziehung eingeläutet hat, musste ich neun Monate warten. Kein Wunder, dass er nicht ans Küssen denkt, bei dem Stress, den du aufbaust… Tempo raus, genieße den Moment, dann wird er schon kommen.
    Und einen, der ein Langsamzünder oder vielleicht einfach nur ein Genießer, ein Romantiker ist – womöglich einfach auch nur sehr schüchtern ist oder womöglich scheiß Erfahrungen gemacht hat – gleich als asexuell abzustempeln, finde ich, um es auf Wienerisch zu sagen, grauslich.

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  3. Boah ist das frustrierend. Ein Date würde ich ihm aber noch geben.
    Erinnert mich ein bisschen an die Carrie Aiden Geschichte aus SatC. Vielleicht ist der Medizin Student (wieso eigentlich Arzt, wenn er noch Student ist?) auch einfach nur ein Romantiker, der es nicht so schnell angehen will.

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    1. Ich will ihm auch noch ein Date geben. Ich finde allerdings so einen Filmabend so offensichtlich…
      Und keine Ahnung ich nehm ich einfach als einen Arzt an, weil er im April das Staatsexamen ablegt und dann sozusagen einer ist.

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  4. Da hat einer offensichtlich Angst die Stimmung zu zerstören. Es ließt sich wie ein Mann der die Sorge hat Deine Signale falsch zu interpretieren. Du kannst so weiter machen, vielleicht traut er sich irgendwann oder Du wirst offensiver oder Du erzählst ihm von Eurem Spaziergang aus Deiner Sicht. Dabei kannst Du diesen Blogbeitrag vielleicht mit der Hand abschreiben und ihm vorlesen.
    Das hängt aber davon ab, ob Du Dir vorstellen kannst mit ihm etwas aufzubauen.
    Ich glaube er denkt zu viel nach und kann sich (noch) nicht fallen lassen.

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