Mitten durchs Herz

– Oktober 2020 –

Ich fühle mich leer. Ein grauer Schleier legt sich über mich. Ich bin ausgelaugt, meine ganze Energie ist von mir gewichen. Ich weine nicht. Ich liege da nur. Die Jalousien sind unten. Ich habe keine Ahnung wie spät ist eigentlich ist. An Essen ist gar nicht zu denken. Dieser Körper braucht gerade keine Nahrung. Also liege ich da nur und würde das wahrscheinlich noch ewig tun, wenn meine Mitbewohnerin nicht an der Tür klopfen und mich rausholen würde.

Zum Glück war schon vorher ein Wochenende mit Freunden geplant und ich bekomme am selben Abend noch Besuch von meiner Freundin, die eine lange Zugfahrt hinter sich hat. Für die nächsten Tage bin ich nicht allein und wahrscheinlich ist es auch besser so, denn sonst hätte ich keine Kraft und auch keine Motivation jemals aus diesem Bett aufzustehen. Diese Tage vergehen wie im Flug, sogar so, dass ich für kurze Momente ihn einfach vergessen kann. So leben kann, als wäre das alles nicht passiert.

Auch wenn ich bei jedem Blick aufs Handy traurig bin, weil noch keine Nachricht von ihm kam, erschrecke ich mich, als am Montag eine Nachricht von ihm auf meinem Display erscheint. „Ich habe sehr große Angst, weil ich nicht das gleiche für dich fühle wie du für mich. Es ist traurig und zerreißt mich, aber ich habe gemerkt, dass ich dir nicht das geben kann was du möchtest und brauchst. Es fühlt sich nicht richtig an. Es tut mir so unendlich leid, dass ich wieder eine Enttäuschung für dein Leben bin. Du hast nur das beste verdient, weil du ein so tolles Herz hast. Ich werde in Zukunft alleine bleiben, weil ich niemanden mehr verletzen möchte und ich innerlich tot bin.“

Es ist so als ob diese Nachricht, meine Tränendrüsen wieder frei geräumt hätte. Die Tränen fließen nur so aus mir. Ich weine. Ich weine unkontrolliert und ohne Ende. Es sind nur Tränen, es ist meine Seele, die aus meinen Augen blutet. Es ist genauer gesagt meine verwundete Seele, die so mühevoll geheilt worden war. Mit so viel Kraft und so unglaublich viel Zeit. Das was mit Mühe verschlossen wurde ist jetzt wieder aufgerissen und blutet mehr als je zuvor. Jeder seelische Schmerz den ich bisher empfunden habe, findet wieder seinen Weg in mein Bewusstsein und verpasst mir einen Stich. Jeder zweifelhafte Gedanke findet seinen Weg und verpasst mir einen Schlag. Jeder Satz, der mir je das Herz zerbrochen hat, erklingt wieder in meinem Ohr. Lauter als alle anderen, schreit in mir dieser eine Satz: „Ich glaube, dass das mit uns hat keine Zukunft.“ Dieser Schmerz geht tiefer als sonst. Es ist nicht nur die Abweisung, die schmerzt. Es ist nicht nur die Hoffnung, die zerbricht. Es ist die Vorstellung über die Zukunft, die sich so real in mir angefühlt hat, die sich jetzt wieder auflöst. Es sind meine Wünsche, die erfüllt waren und jetzt wieder in unerreichbarer Ferne liegen. Die zerplatzten Träume, die mich mein Herz spüren lassen. Auf eine nicht gute Weise. Wie seltsam, dass man das Herz erst in vollem Umfang spüren und lokalisieren kann, wenn es schmerzt. Erst wenn die Stiche, mitten durch das Herz gehen.

Ich lese die Nachricht wieder und wieder, bleibe jedes mal bei diesem letzten Satz hängen. Er bleibt lieber alleine, als mit mir zusammen sein, geht es mir durch den Kopf. Im nächsten Moment empfinde ich Mitleid für ihn, wenn ich mir vorstelle, dass er alleine durchs Leben geht, weil er keine starken Gefühle zulassen kann. Gleichzeitig verwirrt es mich. Warum schreibt man sowas? Was will er damit erreichen?

Erst Stunden später kann ich mich etwas zusammenreißen und antworte ihm, dass ich wohl mehr Wert bin als eine Whatsapp-Nachricht und er zumindest den Mut aufbringen sollte, um mir das ins Gesicht zu sagen. Er stimmt zu und meint, dass er sich meldet, wenn er wieder in der Stadt ist. Ich nehme an, dass er zu seinen Eltern gefahren sein muss, frage aber nicht weiter nach.

Zum Glück ist meine Freundin einen weiteren Tag da, sodass ich nicht alleine bin und jemandem zum reden habe. Ich weiß allerdings, dass die nächsten Tage nicht einfach für mich sein werden und mir die Zeit alleine nicht gut tun wird. Also entscheide ich mich direkt nach der Abreise meiner Freundin, zu meiner Schwester zu fahren. Ein bisschen Heimat und Familie kann Wunder bewirken, denke ich mir.

11 Gedanken zu “Mitten durchs Herz

  1. 😒 Seine Nachricht klingt für mich ziemlich selbstmitleidig. Der einsame Wolf, der für immer alleine durch die Wälder streift und keiner kann ihn zähmen. Oh Mann…der verletzt dich übel und will auch noch Mitgefühl dafür einheimsen. Der is kein Wolf, sondern ein Vogel.

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    1. Sehe ich genauso. Den letzten Satz von ihm finde ich ziemlich kindisch-trotzig. Das ist so wie wenn ich sage „ich esse jetzt nie wieder was, weil nachher muss ich scheißen“. Richtig. Ein Vogel ist er, um genau zu sein ein Kackspecht.

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  2. Fühl dich fest gedrückt! ❤
    Und mich machen seine Worte auch einfach nur wütend. Das ist so das typische Merkmal einer toxischen Beziehung irgendwie, als wär er Edward aus Vampire Diaries „Verlieb dich nicht in mich, ich bin nicht gut für dich, ich bin gefühlsmäßig tot blabla“, das ist einfach ein Weglaufen vor seinen eigenen Gefühlen, die er nicht zulassen kann. Und der ist weder Wolf noch Vogel, sondern ne Maus 🥺😖

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  3. Ob man da nun Verständnis für ihn hat oder nicht – egal.
    Ein Positives hat die Sache doch für dich: du weißt, dass es mindestens einen Menschen gibt, der dich aufblühen und „leben“ läßt. Und vielleicht bist du ja „anstrengend“ (was genau ist das – und wer ist das nicht?) – na und? Du wirst deinen Gegenpart finden, da bin ich mir sicher.

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