Fragen

– Oktober 2020 –

Die Tage vergehen und wir schreiben und telefonieren regelmäßig bis zum Samstag. Aber kein Wort zu unserem ausgemachten Date am Samstag. Wir haben noch keine genaue Zeit und kein Restaurant ausgemacht. Gerade in der Großstadt eher ein Problem, wenn man nicht vorher reserviert hat. Ich würde es gerne in die Hand nehmen und organisieren. Als Projektmanagerin liegt das schon fast in meiner Natur, aber er ist dran. Er muss mir zeigen, dass es ihm wichtig ist. Er soll daran denken und mal etwas auf sich nehmen. Bisher habe ich nämlich noch nichts davon gespürt, dass er mich so unbedingt will. Während ich Samstag dann erwarte endlich zu planen, bekomme ich mittags eine Nachricht, dass es ihm gar nicht gut geht und gerade nicht sagen, ob er heute raus kann. Er legt sich noch ne Runde hin, um für heute Abend fitter zu sein. Ich zeige es ihm zwar nicht, aber ich bin enttäuscht. Jedes mal, wenn wir ein Date ausmachen, kommt etwas dazwischen. Zuhause chillen schön und gut, aber ich will mich schick machen, ich will mit ihm ausgehen. Tatsächlich mal etwas unternehmen. Stattdessen liegen wir dann doch nur im Bett rum. Aber auch das scheint eher unwahrscheinlich.

Später am Abend meldet er sich dann etwas heiser. Ihm geht es gar nicht gut. Er fühlt sich so schlecht, dass er nicht mal zum chillen vorbeikommen kann und sowieso will er heute lieber im eigenen Bett schlafen. Ahja, denke ich mir, so wohl fühlst du dich bei mir also. So toll ist es also mit mir zu schlafen. So sehr willst du mich also, dass du dich keine fünf Minuten herquälen kannst, damit ich mich liebevoll um dich kümmern kann. Denn das würde ich tun. Stattdessen bleibst du lieber in der Wohnung mit deiner Exfreundin aka. Mitbewohnerin. So viele Gedanken, aber kein Wort zu ihm. Ich bin leise. Ich denke mir meinen Teil. Wir legen auf. Tränen quellen aus meinen Augenwinkeln. Vor Wut und Enttäuschung. Ja klar, kann er nichts dafür, dass er krank ist, aber ich bin wütend, dass ich nicht mal zu ihm kann, um bei ihm zu sein. Weil die Mitbewohnerin aka. Exfreundin (immer so benannt wies eben am besten passt) weiß ja nichts davon und warum jetzt unnötig so einen Stress machen. Ja, warum denn stressen, wenn es doch sowieso nichts ernstes ist. Denk ich mir…

Auch am Sonntag und Montag geht es ihm nicht besser. Mittlerweile besteht sogar die Angst, dass er Corona haben könnte. Deswegen kommt ein Treffen sowieso nicht mehr in Frage. Der Gedanke, dass er zwei Wochen mit seiner Exfreundin in einer Wohnung gefangen wäre, macht mich schier verrückt. Mit dem Arzt hat er bisher nur telefoniert. Erst mal abwarten heißt es. Was mir schon wirklich komisch vorkommt. Am Mittwoch soll er dann doch in die Praxis kommen. Alles sehr komisch. Es gibt doch Testzentren, die doch viel sicherer sind für die Mitmenschen. Die Zweifel sind groß, aber nicht laut genug. Am Mittwoch wird er dann getestet und das Ergebnis soll in fünf Tagen vorliegen. Fünf Tage?? In den Testzentren bekommt man innerhalb von 48 Stunden ein Ergebnis. Es ist doch laut Medien so wichtig, so schnell wie möglich zu testen, um die Ansteckungskette so schnell wie möglich ausfindig zu machen. Und wenn er denn tatsächlich Corona haben sollte, müsste ich doch jetzt genauso in Quarantäne. Fragezeichen. Zweifel. Kaum Kontakt.

Ich fühle mich total hilflos. Zweifel jedes Wort an und doch hab ich nichts in der Hand. Ich habe einfach rein gar nichts in der Hand. Er sitzt an der langen Leine. Er hat alles in der Hand und ich kann nur warten. Es macht mich nur fertig. Die Hilflosigkeit, nichts tun zu können, triggert mich total. Ich weiß, dass nichts passiert ist, aber dennoch heule ich. Hysterisch. Ich kann mich nicht von selbst beruhigen. Auch nicht ablenken. Ich melde mich für den Nachmittag krank. An Arbeit ist nicht zu denken. Ich brauche die Geborgenheit umso mehr. Ich brauche ihn. Ich sehe keine andere Lösung als ihm genau das zu schreiben. „Können wir bitte telefonieren? Mir geht es gar nicht gut. Ich brauche dich.“ Eine Antwort bekomme ich erst Stunden später. Die Stunden nutze ich, um herauszufinden was überhaupt durch meinen Kopf geht. Mit einer Freundin schaffe ich es ein paar der Fragen aufzuschreiben.

Dann endlich ruft er mich an und seine Stimme schenkt mir tatsächlich etwas Ruhe. Ich erzähle ihm von meinen Bedenken, dass ich jetzt noch mehr als sonst seine Bestätigung brauche, aber ich soviel nicht weiß und mich das nur noch mehr verunsichert. Dass ich mit der Situation gerade nichts in der Hand zu haben, mich total fertig macht und überhaupt nicht umgehen kann. Ich weiß ja nicht mal ob wir ein Paar sind oder was das zwischen uns ist. „Na klar, sind wir ein Paar. Das steht für mich außer Frage.“ So wirklich abkaufen kann ich es ihm aber doch nicht. Es ist jetzt wieder eine Woche her, dass wir uns gesehen haben. Obwohl wir in einer rosaroten Phase sein sollten, nach was? drei Wochen Beziehung, geht es einfach nur in die Brüche. Es ist ein Ganzes auf und ab. Kaum sind wir wieder wie frisch verliebt, kommt das nächste Problem. Ich brauche Sicherheit. Ich brauche ihn bei mir. Ich würde es sogar in Kauf nehmen mich anzustecken, zwei Wochen in Quarantäne zu bleiben. Nur damit er jetzt in diesem Moment bei mir ist. Er meint und hat auch Recht damit, dass es unverantwortlich wäre. Ohne dass ich die Pandemie und die daraus resultierenden Konsequenzen in Frage stellen möchte. Würde man nicht trotzdem zu der Person, in die man doch so verliebt ist?

Er schlägt vor, stattdessen jeden Tag über Facetime zu telefonieren. Eine Routine und damit etwas Sicherheit für mich zu schaffen. Die Antworten und die Aussicht beruhigen mich soweit, dass ich auf einmal die Müdigkeit spüre. Und obwohl da immer noch Fragen in meinem Kopf sind, legen wir erst mal auf. Morgen ist ein neuer Tag. Vielleicht kann ich sie dann formulieren.

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