Der gelöschte Schmerz

– Oktober 2020 –

„Es tut mir leid. Darf ich mich wieder bei dir melden, wenn ich mein Leben etwas geordnet habe?“ Ich muss eine Weile überlegen was ich ihm antworte, entschließe mich aber recht schnell einfach ehrlich zu sein. „Ich weiß es nicht. Das werde ich dann sehen.“ Mit dem abschicken der Nachricht, erlischt der Schmerz in mir. Ich bin wieder ruhig. Mein Herz hört einfach auf weh zu tun, weil meine Gedanken sich gewendet haben: „Er will mich, aber er kann einfach nicht so wie er will. Ich bin seine Traumfrau. Er steht sich nur selbst im Weg.“

Aber wie kommt es, dass ich jetzt keinen Schmerz mehr empfinde? Als wäre alles wieder in Ordnung. Nur verschoben. Auf unbestimmte Zeit. Ist das genug, um nicht mehr traurig zu sein? Ist nur das nötig, um den Schmerz auszulöschen?

Warum war ich überhaupt traurig? Weil ich verletzt wurde? Verletzt sollte ich doch noch immer sein. Weil ich bin ja jetzt immer noch ohne ihn, aber eben jetzt nur für eine unbestimmte Zeit. Nein, es ist was anderes. Meine Trauer galt nicht nur ihm sondern auch mir selbst. Ich war traurig und am Boden zerschlagen, weil ich. nicht. genug. war. Zumindest so der Gedanke, bis er geschrieben hat, dass er mich ja quasi haben will, aber eben noch nicht jetzt sofort.

Ist es nicht traurig, dass ich mir seit Jahren einrede eine selbstbewusste und eigenständige Frau zu sein, aber das Wort eines Mannes, dem ich nicht mal mehr vertraut habe, mich vernichten und anschließend aufbauen kann? Nein, nicht ich selber kann mich selbst aufbauen. Nicht mal meine liebsten Freunde können das. Geschweige denn meiner Familie. Mein Selbstwertgefühl hängt anscheinend von der Meinung eines Mannes ab. Nicht erst jetzt. Sondern schon immer. Das wird mir jetzt bewusst.

Hallo Realität. Ciao Feminismus. Ciao monatelange Meditation und Yoga. Von wegen „Ich tue genug, ich habe genug, ich bin genug.“ Als ob diese Einstellung von einer 10-minütigen Meditationseinheit mit Mady Morrison verschwindet. Ja, schon klar! Ich schenke mir selbst mein schönstes Lächeln, weil wenn ich es nicht wert bin, wer ist es dann?! Da kann ich nur über mein selbst lachen, das schon so oft auf der Matte saß und sich selbst das allertollste Lächeln geschenkt hat. Aber eben nur für die Zeit, in der man auch von anderen vermittelt bekommen hat, dass man ganz super toll ist. Das Lächeln war irgendwie nie intrinsisch. Obwohl ja genau darin der Schlüssel liegt.

Du musst dich erst selbst lieben, bevor dich jemand anderes lieben kann. Wie oft habe ich das gelesen? Wie oft habe ich dabei gedacht: „Sichi, ich liebe mich selbst! „Anscheinend aber halt nur so lange bis mich meine Ängste einholen. Die Angst abgelehnt zu werden. Die Angst einsam zu sein. Klar, gar kein Problem. Ich kann alleine mit mir selbst sein. Wer braucht sie nicht die Me-Time? – Verlogene Scheiße. – Heute nehme ich mir Zeit. Nur für mich allein. ❤ Aber eben nur heute! Morgen brauch ich dann wieder Gesellschaft, um weiter meine Angst zu vertreiben, nur ich allein im Leben zu sein. Allein ohne Partner. Allein ohne Kinder. „Nur“ mit Freunden, die natürlich alle ihr Glück gefunden haben.

Gut, wenn jetzt „nur“ meine innere Feministin darunter leidet, soll es so sein. Was passiert aber, wenn er sich nie meldet? Nicht in drei Monaten, nicht in sechs, einfach nie? Was passiert dann in mir? Ist der Schmerz dann einfach nur vergessen? Oder vielleicht nur verschoben, bis der nächste Mann kommt und mich fallen lässt? Ist das gesund? Soll so mein Leben sein? Liegt meine Baustelle „einfach keinen Partner zu finden“ nicht eher in mir selbst?

11 Gedanken zu “Der gelöschte Schmerz

  1. Das hab ich mir auch schon oft gedacht. Wie klug und Selbstbewusst wir doch sind und dann kommt so ein Typ an und vernichtet unsere ganze Selbstbewusste Einstellung mit nur einem Satz. Kann doch auch nicht der Sinn des Lebens sein. Ich bin überzeugt davon das dein Schmerz vergeht auch wenn es dauert.
    Trotzdem solltest du dir vor Augen halten das die Worte der lieben Mady: „Ich tue genug, ich habe genug, ich bin genug.“ ein gutes Mantra für dich selbst sind. Und es auch so ist wie sie es dir sagt. Ich lebe auch danach und sage mir dieses Mantra sehr oft vor. Selfcare 🙂 ::) Sei gut zu dir selbst und tu dir gutes.

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  2. Einen Gedanken zu deinen Worten: Der Mensch ist als soziales Wesen nicht dafür gemacht, allein zu sein. Niemand hält es auf Dauer ganz allein aus (na vermutlich gibt es Ausnahmen), aber das bedeutet nicht, dass man deswegen eine Beziehung führen muss. Ja, deine Freunde haben eine Beziehung, aber deswegen musst du das nicht, du kannst sie auch als Single in ihren Beziehungen als Freunde an deiner Seite wissen. Deswegen solltest du den Feminismus und auch dein Selbstwertgefühl begraben. Auf mich machst du einen sehr selbstbewussten Eindruck, deine Offenheit bezüglich deiner Verletzlichkeit bestätigt das doch sogar.

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    1. Dass ich das nicht muss, ist schon klar. Aber ich wünsche es mir ja. Die Zuneigung, Geborgenheit, Zweisamkeit. Das will ich und kann ich nicht mit Freunden/ Familie kompensieren. Dabei ist es egal ob meine Freunde Single sind oder nicht. Aber wenn sie es nicht sind, sehe ich an solchen Tagen nur was ich mir wünsche aber eben nicht haben kann.
      Versteh zu dem den Punkt nicht warum ich mein Selbstwertgefühl und den Feminismus begraben soll?!
      Zuletzt ist ja Selbstbewusstsein nicht dasselbe wie Selbstwert 🤷🏻‍♀️

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      1. Ich habe das Wort „nicht“ vergessen: „Deswegen solltest du den Feminismus und auch dein Selbstwertgefühl NICHT begraben.“ Ganz blöder Fehler…da logischerweise die komplett gegenteilige Aussage, ich bitte das zu entschuldigen und wenn du magst, dann korrigiere diese Stelle bitte.

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  3. Hm, wenn man verliebt war, ist es furchtbar normal zu leiden, wenn das Objekt der Liebe einen verlässt. Oder? Darauf basieren doch zig Klassiker. Und natürlich bringt dann erstmal nichts und niemand anderes etwas. Sei nicht so hart zu dir. Auf der anderen Seite, ist das in Kauf nehmen von schlechtem Benehmen eher das Problem, welches mit schlechtem Selbstwert zu tun hat.

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  4. Was ich gelernt habe: Abstand hilft. Ein neuer Mann hilft noch besser. Irgendwann ist er vergessen. Frauen die als Single rundum glücklich sind, sind mir selten begegnet und dann kommen nochmal viele dazu die es behaupten, im Inneren aber nicht sind. Traurig, ja. Aber es ist wichtig ehrlich zu Dir selbst zu sein. Und das bist Du. Könntest Du ehrlicher nicht sein mit diesem Text. Bleib stark! Und hoffe bitte nicht drauf dass er sich irgendwann meldet. Wenn er jetzt nicht kann/will, wird er es auch nicht in 3 oder 6 Monaten.

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